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Neugier
aufs Ende Von der Kunst des Auf-Hörens
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16.
Pfingstsymposion München 2005
Samstag |
14. Mai |
Sonntag |
15. Mai |
Montag |
16. Mai |
Die knappste und kostbarste aller Ressourcen ist unsere Lebenszeit.
Unserem Wissen und unserer Erfahrung aber bleibt das Lebensende entzogen.
Ohne illusionäre Vergegenwärtigungen lässt es sich
nicht inszenieren. In-lusio, Eintritt ins Spiel – in welches
Spiel? Unterliegen wir deshalb einer Sehnsucht nach Vollendung, nach
dem vollendeten Werk? „Die Musik versteht sich aufs
Ende, ... sie erreiche, paradox ausgedrückt, ihr eigentliches
Dasein gerade in dem Moment, in dem sie vergangen ist“, schreibt
der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus. In ihr wirkt die verrinnende
Zeitlichkeit wie aufgehoben. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
scheint die Musik im Augenblick ihres Erklingens in Übereinstimmung
zu bringen. „Die Musik lässt Gegenwart wie in einem Jetzt-Fenster
wahrnehmen und weitet diese zu beiden Seiten, zur Vergangenheit wie
zur Zukunft, hin“, so Peter Gülke.
Arnold Schönberg hat zwischen Aufhören und Schließen,
d. h. zwischen unbegründeter und begründeter musikalischer
Endkonstruktion, unterschieden. Auf welche Stimme, welchen Klang hören
wir beim Auf-Hören?
Die zyklische Zeit endet im Neubeginn, die lineare Zeit strebt nach
Vollendung und nach unwiederbringbarer Dauer. Das Pfingstsymposion
greift auch diesen Unterschied auf und stellt Fragen an einen Dirigenten,
eine Musikwissenschaftlerin, einen Biochemiker und einen Literaturwissenschaftler.
Ein- und Ausatem als unmittelbare Erfahrung von Anfang und Ende vergegenwärtigt
eine Atemübung. Sinnliche Betrachtungsweisen zur Kunst des Auf-Hörens
gibt die Art-Lecture Parole. Ein multimediales Hörstück
thematisiert die Frage nach der Illusion des Endes. Voll- endete Stücke
junger KomponistInnen eröffnen das Symposion.
Die Neugier aufs Ende als ein zu bestaunendes
Ereignis wirft nicht die Frage nach dem Danach auf, sondern gibt Raum
zum Diskutieren mit dem Publikum unter anderem über die aktuelle
Frage zu Qualität oder Quantität von Lebenszeit. Das Pfingstsymposion
will Neugier wecken und mögliche Antworten geben – ob es
dem diesjährigen Thema letztendlich gelingen wird – ? |
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Samstag 14. Mai
20:00 Uhr Begrüßung
Musik – Paradigma bejahter Vergänglichkeit
Prof. Peter Gülke
Wenn irgendwo deutlich wird, dass und inwiefern Werden und Vergehen
eins sind, dann in Musik. Erklingen ist immer zugleich Verklingen.
Nicht zufällig hat Augustinus das Wesen der Zeit anhand von
Musik zu erklären versucht, ein mittelalterlicher Theoretiker
hat sie eine „meditatio mortis“ genannt. Einerseits
ist Musik der Zeit bzw. Vergänglichkeit ausgeliefert, zugleich
ihr aber entzogen. Das pure Nacheinander der Ereignisse gilt hier
nur bedingt, mehr als jede andere zieht die musikalische Wahrnehmung
Vergangenheit und Zukunft, Erinnertes und Erwartetes in die Gegenwart
hinein und bringt uns eine andere Zeitlichkeit nahe, das stehende
Jetzt, die punktuell zusammengezogene Ewigkeit – jene, die
die alten Griechen „aion“ genannt und dem Stunden, Tage,
Jahre zählenden „chronos“ überordnet haben.
Nicht zuletzt hierher rührt die besondere Unmittelbarkeit bzw.
Gehobenheit, deren Musik fähig ist, das Erlebnis – in
Worten eines romantischen Ästhetikers – „dass in
der Empfindung eines jeden gegenwärtigen Augenblicks eine ganze
Ewigkeit in unserem Gemüt hervortritt“.
ensemble oktopus
spielt Werke, die beim diesjährigen Bialas-Wettbewerb
ausgezeichnet wurden.
Echo, Ayaka Yoshikiyo
Tomoki Kirita, Trompete. Wilma Rehberg, Schlagzeug. Lukas Tinschert,
Kontrabass. Sophia Steckeler, Harfe. Dmitrij Romanov, Klavier.
Hildegard Schön, Dirigentin
New York Counterpoint, Steve Reich
für Klarinette solo und Tonband
Sofija Molcanova, Klarinette
Bitterer Mond, Narine Khachatryan
Minas Koutsabasopoulos, Klavier. Olga Rexroth, Violine. Philipp
Miller, Kontrabass. Johannes Potzel, Schlagzeug. Marcus Sterk, Dirigent
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Sonntag 15. Mai
10 Uhr
Über die Endspiele Samuel Becketts
Dr. Philipp Laubach-Kiani
Ein dichterisches Ganzes entsteht durch eine natürliche und
notwendige Anordnung von Anfang, Mitte und Ende. Kaum ein zweiter
moderner Dichter hat sich dieser auf Aristoteles zurückgehenden
Minimalforderung an die Dichtkunst so radikal verweigert wie der
Ire Samuel Beckett (1906-1989). Sein Werk zeichnet sich durch paradoxe
Erzählsituationen und unabschließbare Handlungskonstellationen
aus, durch fiktionale Versuchsanordnungen, in denen die Spannung
zwischen dem Schluss eines Textes und dem (vermeintlichen) Ende
seines Erzählinhalts bedeutungstragend wird. Und so lässt
sich Becketts Werk auch als Versuch betrachten, eine adäquate
künstlerische Form für die Richtungslosigkeit, für
das Beliebige und Zufällige der modernen Welterfahrung zu finden,
in der das Ende keinen Beruhigungspunkt mehr darzustellen vermag.
Wie anfangen, wenn es ums Enden geht, und wie enden, wenn kein Ende
absehbar ist? Diese den beckettschen Werken eingeschriebenen Fragen
wird der Vortrag verhandeln, inszenieren und zur Diskussion stellen.
„... der Geste des Herstellens selbst freien Raum
schaffen“
Über die Chancen neuer Musik, wenn das Endprodukt entfällt
Dr. Gisela Nauck
These: Es ist heute kaum noch vorstellbar, dass Musik ohne den
Regelkreis des Verkaufs gehört wird, der Musik als Ware voraussetzt.
Der Warencharakter aber verlangt ein perfektes Endprodukt. Die Strukturen
des gesamten Kreislaufes, in dem neue Musik zirkuliert – Komponisten,
Verlage, Interpreten, Aufführungsstätten, Medien, Orte
und Geräte des Hörens, die Wahrnehmungsstrukturen selbst
–, orientieren sich an diesem Kreislauf, der sich längst
verfestigt hat. Diese erstarrten Strukturen bilden sich in den neu
entstehenden Formen von Musik ab und reproduzieren sie. Musikentwicklung
stagniert, weil ihr keine freien Räume zum „Atmen“,
für Experimente, zum innovativen Anderssein geblieben sind.
Anhand von zwei Situationen innerhalb der jüngeren und jüngsten
Musikgeschichte sollen Alternativen und die darin verborgenen innovativen
Potenziale aufgezeigt werden. Welche Chancen hat Musik, wenn sie
sich dem kulturell geforderten Dasein als Endprodukt verweigert?
Mittagspause bis 15 Uhr
Zwischen Ende und Anfang – die Atempause
Quelle der Wandlung – eine Übung
Ingrid White
Jedes Atmen ist anders – nie ist es gleich. Atem, als das
Fließende, das Bewirkende, das Schöpferische –
da ist innendrin ein Gesetz, das es zu erfahren gilt. Es zeigt uns
genau: Jetzt ist die Zeit des Ansteigens, jetzt ist die Wende, jetzt
ist das Strömen, und jetzt ist Ruhe. Eine so geartete Ruhe
bestimmt über mein Leben. Lasse ich es von diesem Rhythmus
tragen? Finde ich wirklich in diese Pause und werde still? Dabei
öffnet sich die Wesenstiefe, die Oberfläche des Tuns und
Redens wird durchbrochen.
Apoptose: Der programmierte Zelltod hat eine Funktion.
Gunther Sprengel
Ein Organismus bildet sich nicht, damit alle Zellen darin gemeinsam
überleben, sondern er muss sich vor allem gegen äußere
Lebensbedingungen durchsetzen, damit es ihn überhaupt gibt.
Die Zellen sollen dazu beitragen, und zwar nicht immer die ganze
Lebenszeit. Wenn der Gesamtverband eine Zelle nicht mehr benötigt,
wird sie mit dem scharfen Schwert der Apoptose nicht nur zum „Selbstmord“
veranlasst – darüber hinaus übernimmt sie das (wie
jeder Krimi-Leser weiß) schwierige Beseitigen der „Leiche“
selbst.
PAROLE
Lautpoesie & Musik - Art-Lecture
Elke Schipper, Günter Christmann
Im Aufhorchen und Aushorchen liegen die Impulse lautpoetischen
Arbeitens. Das Wahrnehmen und Transformieren der Raster und Mixturen
des Gesprochenen machen auch hörbar, was nicht gesagt worden
ist, lassen die Sprache sich mitteilen über die Grenze hinaus,
an der im üblichen Sprachgebrauch ihre Botschaft aufhört.
Wo endet die eine Sinnhaftigkeit der Sprache an der anderen, für
die andere?
Die Neugier auf alles vor unserem Ende lässt uns angesprochen
sein, von den Faltungen eines bedruckten Papiers ebenso wie von
der Rede der Musik, dieser anderen Kraft der Lautpoesie. Wo hört
die Poesie auf, wo hört die Musik auf in der archaischen Verständigung
der beiden?
Die Ober- und Unterschwingungen des Meinens eines Wortes und die
vorsprachlichen Kräfte der menschlichen Artikulation sind eine
künstlerische Selbstherausforderung, die stets aufs Neue an
das Ende von Material und Vermittelbarkeit stoßen lassen und
damit das Maß des Aufhörens vorantreiben.
Nachtvorstellung, 23 Uhr
Endstation Sehnsucht
(A Streetcar Named Desire, Tennessee Williams)
Kamera: Harry Stradling
Musik: Alex North
Regie: Elia Kazan
Darsteller: Vivien Leigh, Marlon Brando, Kim Hunter, Karl Malden,
Rudy Bond, Nick Dennis
USA 1951, 127 Minuten
Die Lehrerin Blanche Dubois (V. Leigh) versucht, mit Alkohol ihre
Vergangenheit zu vergessen. Ihre Schwester nimmt sie auf. Zwischen
dem Ehemann der Schwester und Blanche kommt es zu Auseinandersetzungen,
die in einer Vergewaltigung gipfeln. Vivian Leigh bekam für
diese Rolle den Oscar.
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Pfingstmontag 16. Mai
10 Uhr
Die Illusion des Endes
Grace Yoon
multimediale Inszenierung, ein Remix (UA Dezember 1999, WDR)
„La morte si sconta vivendo“, den Tod büßt
man lebend ab. In seiner Determination als nicht nachvollziehbares
Ereignis scheint das unabwendbare irdische Schicksal allgegenwärtig,
dabei nicht mal den Anfang vor Augen. Die Sage vom Raub des Tithonos,
sein Verlust von Jugend und ewiger Schönheit trotz erlangter
Unsterblichkeit bilden vor dem Hintergrund des gleichnamigen Werks
von Jean Baudrillard das Fundament für die multimediale Performance.
Diskussion, 11 Uhr
Es ist leichter, sich auf das Nichts
einzulassen als auf das Ende.
Dr. Albrecht Ohly, Christian Frodl, Dr. Melanie Lücking,
Stephanie Struthmann, Eva-Maria Stiegler, Reinhard Körting,
Christian Staubesand
Das Thema Sterbehilfe ist brisant und das mit Recht. Es geht um
mehr als um ein Medienspektakel. Eine der wichtigsten gesellschaftlichen
Fragen wird berührt: Darf der Mensch über seine Lebenszeit
oder die von anderen verfügen?
Es ist oft eine Frage der Prinzipien, welche Ansicht von wem vertreten
wird. Eine Vielzahl von berechtigten Meinungen kursieren. Um eine
Diskussionsgrundlage zu schaffen, werden ethische, medizinische
und soziologische Aspekte beleuchtet, die im Plenum erörtert
werden können.
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Veranstaltungsort:
Carl Orff Auditorium
Luisenstr. 37a
U2 Königsplatz
Gesamtkarte 25 €, ermäßigt 15 €
Tageskarte 15 €, ermäßigt 10 €
Karten an der Veranstaltungskasse
Informationen und Reservierung:
Pfingstsymposion
c/o Ulrike Trüstedt
Agnesstr. 39
80798 München
Tel: 089/ 272 18 56
ulrike.truestedt[at]pfingstsymposion.de
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KünstlerInnen und ReferentInnen
Günter Christmann Avantgarde-Musiker, Langenhagen/Hannover
Christian Frodl InteressenGemeinschaften Kritische
Bioethik Deutschland
Prof. Peter Gülke Dirigent, Musikwissenschaftler,
Berlin
Reinhard Körting PMedien, München
Dr. Philipp Laubach-Kiani Literaturwissenschaftler,
München
Dr. Melanie Lücking Moraltheologin, Pastoralreferentin,
München
Dr. Gisela Nauck Musikwissenschaftlerin, Herausgeberin
der Zeitschrift „Positionen. Beiträge zur neuen Musik“,
Berlin
Dr. Albrecht Ohly Internist, Aufbau und Leitung
der Intensivstation am Schwabinger Krankenhaus bis 2003, Vorsitzender
des Christophorus Hospiz Vereins München
oktopus ensemble für musik der moderne hochschule
für musik und theater münchen
Elke Schipper Lautpoetin, Literaturwissenschaftlerin,
freie Autorin, Langenhagen/Hannover
Gunther Sprengel Biochemiker, München
Christian Staubesand freier Journalist, München
Eva-Maria Stiegler Deutsche Gesellschaft für
Humanes Sterben, München
Stephanie Struthmann Hebamme, München
Ingrid White Atemtherapeutin, München
Grace Yoon Autorin, Regisseurin, München
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Mit freundlicher Unterstützung:
Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung
und Kunst
Kulturreferat der Landeshauptstadt München
E.on Energie
Siemens Arts Program
Objektiv TV Thomas Ebner
Privatmäzene
In Zusammenarbeit mit:
Hochschule für Musik und Theater München und
Echtzeithalle e. V., Träger des Pfingstsymposions
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Konzept und Realisation Ulrike Trüstedt |
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